Neues vom Tode

Tagung

Neues vom Tode. Aktuelle thanatologische Forschung im interdisziplinären Dialog

Jahrestagung des Arbeitskreises »Thanatologie« der Sektion Wissenssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
An der Eberhard-Karls-Universität Tübingen am 21./22. März 2024.
Organisiert von Matthias Meitzler, Thorsten Benkel, Ekkehard Coenen und Miriam Sitter.

Als massenmediales Thema ist das Lebensende ein häufiger Bestandteil der alltäglichen Informationsflut: Gestorben wird im Krieg, im Krankenhaus, im dienstlichen Einsatz, im hohen Alter, zu früh, nach langer oder kurzer schwerer Krankheit, durch eigene oder fremde Hand usw. usf. Demgegenüber sind subjektive Begegnungen mit Todesfällen gnädig selten, wenn man nicht gerade in professionellen Kontexten dem Lebensende ›von Berufswegen‹ begegnet oder das Unglück erleidet, in einem Krisenherd, einem ›failed state‹ und in anderen gefährlichen Umgebungen zu leben.

Der thematisierte Tod ist folglich für viele Menschen ein Abstraktum – während zeitgleich nur für wenige der abstrakte Einzelfall einen lebensweltlichen Einschnitt erzeugt. Notwendigerweise ist auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer abstrakt, da sie nicht lediglich von denjenigen betrieben wird, die aktuell von einem Verlustfall betroffen oder gar mit der Möglichkeit des eigenen Lebensendes konfrontiert sind. Ob sich aus der Distanz heraus ›adäquater‹ über die sozialen Effekte des Todes diskutieren lässt, ist jedoch strittig. Wie Eva Illouz in ihrem therapiekritischen Buch über die Errettung der modernen Seele unterstreicht, sind emotionale Anteilnahme und rationale Analyse entgegen anderslautender Gerüchte keineswegs Antagonismen. Und überhaupt stellt sich bei empirischer Forschung zum Lebensende die (auch methodologisch relevante) Frage, wie sehr Forscher:innen sich auf die Situationsdefinitionen interviewter Trauernder einlassen, wie sehr sie gefühlsmäßig auf den Besuch in einem Hospiz oder auf die Analyse von Videomaterial zu Tötungsgewalt u. dgl. reagieren dürfen, vielleicht sogar müssen, um die implizierten gesellschaftlichen Konsequenzen der entsprechenden Fallkonstellationen jenseits bloß quantifizierender Betrachtungen nachvollziehen zu können.

In der Konfrontation mit Sterbe- und mit Todesfällen evoziert, wie Thanatolog:innen wissen, der Tod selbst dann, wenn er ein Leben beendet hat, für diejenigen, die sich damit analytisch befassen, Neuigkeiten – und zwar sowohl über den Fall wie auch über sich selbst. Da es sich hierbei um einen Effekt handeln dürfte, der viele Disziplinen betrifft und insbesondere in Soziologie, Psychologie, Erziehungs- und Rechtswissenschaft, (Kunst-)Geschichte und verwandten Feldern auffindbar ist, bietet es sich an, die Jahrestagung des Arbeitskreises Thanatologie explizit einer interdisziplinären Auslotung des Nachdenkens und Recherchierens über den Tod zu widmen. Eingeladen sind Abstracts, die dem thanatologischen Forschen, seinen Grenzen und seinen Möglichkeiten sowohl auf empirischen wie auch theoretischen Wegen nachspüren.

Tagungsablauf

Jahrestagung des Arbeitskreises »Thanatologie« der Sektion Wissenssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 21./22. März 2024, Verfügungsgebäude, Wilhelmstr. 19, Erdgeschoss, Raum V0.01

Donnerstag, 21. März

13h00 Eröffnung (Thorsten Benkel, Ekkehard Coenen, Matthias Meitzler, Miriam Sitter)

Panel 1:
13h15 Prof. Dr. MANUEL STETTER: Bodies in Crisis. Der Körper als Instrument und Gegenstand der Funeralethnografie

14h00 MATTHIAS MEITZLER M.A. (Tübingen): Auferstanden aus Platinen? Immersive Verwirklichungen des Postmortalen

14h30 Pause

Panel 2:
14h45 ANNALENA MITTLMEIER M.A. (Wien): Konfrontation mit dem Tod in der ›digitalen Ich-Werdung‹. Ethnographische Erkundungen

15h30 Dr. EKKEHARD COENEN (Weimar): Die Situation des Suizids. Eine soziologische Betrachtung

16h00 Pause

Panel 3:

16h15 Dr. MIRIAM SITTER (Hannover): Verlustverarbeitung und Realismus – eine zweifelhafte Dyade
16h45 Prof. Dr. OLIVER ZÖLLNER (Stuttgart): Schallplattensammlungen als transzendente Hinterlassenschaften

17h30 Pause

Panel 4:

17h45 Dr. NICOLE KIRCHHOFF (Bielefeld): Nach Leben und Tod. Vom Fortwirken des gestorbenen Körpers im Sezierkurs der anatomischen Ausbildung von Mediziner*innen

18h30 PD Dr. THORSTEN BENKEL (Passau): Geisterjagd mit Derrida. Abjekt und hantologisches Motiv

19h00 Ende Tag 1

19h30 Abendessen

Freitag, 22. März

Panel 5:

09h00 PD Dr. RICO GUTSCHMIDT (München): Endlichkeit als transformative Erfahrung. Eine qualitative Studie zu Tod und Sterben

09h45 Dr. CHRISTIAN BANSE (Göttingen): Inkludierender Anspruch, exkludierende Codes. Die Kommunikation von Grenzen in der Palliativversorgung

10h30 CARSTEN OHLROGGE M.A. (Münster): Die Frage nach dem Tod im Transhumanismus

11h15 Pause

Panel 6:
11h30 NICO WETTMANN M.A. (Koblenz) / FREDERIK PEPER B.A. (Gießen) :Verfügbarkeit des Todes? Zum (Un-)Sterblichkeitsdiskurs der Longevity-Community

12h15 Vertr.-Prof. Dr. JOSEF BARLA (Frankfurt am Main): Todesarbeit und Nekrowert. Elemente einer mehr als menschlichen Thanatologie

13h00 Verabschiedung